Süddeutsche Zeitung, 01.03.2002
Es muss schwer sein, in Zeiten überzogenen Demokratieverständnisses verantwortungsvolle Posten zu übernehmen: Da hat sich einer aufgeopfert, erst als Kultus- dann als Finanzminister, indem er für seine Partei die Lufthoheit über den schwäbischen Stammtischen im Alleinflug sicherte; da hat er nebenbei einen Fußballverein geleitet, ganz allein, 25 Jahre lang. Und heute ist er fürs Große und Ganze und den Fußball an sich zuständig. Und was ist der Dank? Als Gerhard Meyer-Vorfelder noch Kultusminister in Baden-Württemberg war, regten sich alle auf, wenn er mal in Sektlaune sagte, dass "die Chaoten in Berlin, in der Hafenstraße in Hamburg und in Wackersdorf schlimmer herumspringen als die SA jemals". Dann wollten ihm einige von der sogenannten "Presse" einen Strick daraus drehen, dass er sich als Kultusminister für die Allgemeinbildung einsetzte. Die Schüler, so Meyer-Vorfelder, sollten wieder alle drei Strophen des Deutschlandliedes beherrschen und singen. Schließlich würden ja auch die Franzosen die Marseillaise ganz singen, obwohl die ja "auch ihre Geschichte des Dritten Reiches haben, die in Frankreich nicht viel einfacher war als die Geschichte des Dritten Reiches bei uns". Apropos die Franzmänner: Nach dem Gewinn der WM ´98 erklärte er, das sei ja kein Kunststück gewesen: "Es soll nicht chauvinistisch klingen, aber hätten wir 1918 die deutschen Kolonien nicht verloren, hätten wir heute in der Nationalmannschaft wahrscheinlich auch nur Spieler aus Deutsch-Südwest." In diesem Monat nun scheint die Welt endgültig verrückt geworden zu sein. Einen Skandal-Hattrick wollen sie ihm andichten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, weil er sich vom VfB Stuttgart als dessen ehrenamtlicher Präsident monatlich satte Bezüge und zwischendurch auch mal ein Darlehen zukommen ließ. (siehe SZ vom 28.02.) Wo der Verein ihm doch ohnehin gehörte. Andere regen sich darüber auf, dass er seinem neuen Verein, dem DFB, nach Gutsherrenart den Auftrag erteilt, dem VfB Stuttgart 116574 € zu überweisen. Peanuts: Meyer-Vorfelder hat sich beim VfB von dessen Geldern einen Schrank und ein paar Bilder gegönnt. Und dann ist da noch dieses "Bündnis Aktiver Fußballfans" (BAFF). Unter dem Titel "Tatort Stadion" lässt BAFF, unter der Schirmherrschaft von Wolfgang Thierse, derzeit eine Ausstellung zum Thema "Rassismus und Diskriminierung im Fußball" durch Deutschland touren. Auf einer Schautafel mit dem Titel "Tatzeugen Vorbilder" sind Zitate des DFB-Präsidenten zu lesen, Bonmots über Germanen und Genetik, die Polen und Meyer-Vorfelders herzliches Verständnis zu den Republikanern im Baden-Württembergischen Landtag.
Wer war das?
Eigentlich sollte ihm all das Gemäkel nicht viel ausmachen; nach dem Skandal war bei Meyer-Vorfelder immer schon vor dem Skandal. Und bislang schien er all die Geschichten zu verdauen wie andere einen engagierten Kneipenabend: einmal schlecht schlafen, morgens aufwachen - war da was? Diesmal aber empörte er sich. Erst zog der DFB die Zusage von 5000 € Fördergeldern für die Ausstellung zurück. Und jetzt, wo sich die Staatsanwaltschaft im Falle der VfB-Gelder eingeschaltet hat, bezog Meyer-Vorfelder "bewusst öffentlich Stellung, weil die gegen mich erhobenen Vorwürfe nicht haltbar und die massiven Versuche der Rufschädigung unerträglich sind". Ja, die Rufschädigung ... Es ist peinlich, dass jemand zum Vorsitzenden des größten deutschen Verbandes und damit zu einem der mächtigsten Sportfunktionäre der Welt werden konnte, der keinerlei Gespür für demokratisch legitimiertes Handeln zu haben scheint. Auf die Frage, was es mit dem Darlehen über 153000 € auf sich habe, das ihm der hochverschuldete VfB ausbezahlte, antwortete Meyer-Vorfelder in hemdsärmeliger Manier: "Ich habe schnell und unkompliziert Geld gebraucht." Das Darlehen hat er nie zurückgezahlt. Vor allem aber ist es peinlich, dass jemand mit 255 von 256 Stimmen zu einem der wichtigsten deutschen Repräsentanten des Sportes gewählt werden konnte, der Sätze sagte wie: "Was wird aus der Bundesliga, wenn die Blonden über die Alpen ziehen und statt dessen die Polen, diese Furtoks und Lesniaks spielen?" Was wird nun aus der Bundesliga? "Im deutschen Fußball wird jetzt alles gut." So erklärten zwei Neonazis und Fußballfans bei der Arena "Auf Schalke" einem Fanprojektleiter. Als der sie fragte, warum denn nun alles gut werde, meinten sie: "Da ist jetzt einer von uns Präsident." Der eigentliche Skandal ist, dass Meyer-Vorfelders selbstherrlich zwielichtiges Gebaren und Sprechen noch immer symptomatisch ist für diesen Verband. Gerhard Meyer-Vorfelder, der seine Karriere als persönlicher Referent von Hans Filbinger anfing; Meyer-Vorfelder, Träger der "Bund der Vertriebenen-Plakette für die Verdienste um den deutschen Osten und das Selbstbestimmungsrecht", einer wackeren Institution, die auch für eine Wiedereingliederung des polnischen Oberschlesien stand; eben dieser Gerhard Meyer-Vorfelder schrieb 1988 in der Zeitschrift "Nation Europa", die damals wie heute vom Verfassungsschutz beobachtet und in dessen Jahresbericht 2000 als "bedeutsamstes rechtsextremistisches Theorieorgan" geführt wurde, Treffliches über Sinn und Zweck des Geschichtsunterrichts: "Geschichte ist ein moralisches und ethnisches Fundament staatsbürgerlicher Bildung von hohem pädagogischen Wert: In der Vergegenwärtigung des Ursprünglichen, in der Aufarbeitung des Geschehenen erkennt der Mensch sich selbst."
Bestes Deutschtum
Also etwas Geschichte im Schnelldurchlauf: Zwei Tage nach dem Wunder von Bern, dem Urknall der deutschen Nachkriegsgeschichte, dankte Dr. Peco Bauwens, DFB-Präsident von 1949 bis 1962, dem altgermanischen Kriegsgott Wotan, der der Herberger-Elf während des Turniers beigestanden habe. Bauwens pries die Weltmeister als Repräsentanten "besten Deutschtums", die ihren Erfolg der Praktizierung des "Führerprinzips" verdankten. Alles endlos her? Der reaktionäre Mief, der damals über Deutschland hing? Gut spulen wir 24 Jahre weiter: WM-Organisationschef Hermann Neuberger, seines Zeichens DFB-Chef, wurde im Vorfeld der WM in Argentinien nicht müde, die dortigen Militärs für ihren Putsch zu loben: Endlich sei in dem Land "eine Wende zum Besseren" zu erkennen. Während die französische Delegation ihren Aufenthalt dazu nutze, für die Freilassung politisch Gefangener einzutreten und das Schicksal von etwa zwanzig Vermissten aufzuklären, lud Patriarch Neuberger den höchstdekorierten Weltkriegsflieger und Wehrmachtsoberst Hans-Ulrich Rudel, der in den siebziger Jahren - neben Rudolf Hess - wichtigste Galionsfigur der Neonazis galt, ins WM-Quartier in Ascochinga ein. Auf die harsche Kritik einiger Bundestagsabgeordneter sagte Neuberger: "Herr Rudel ist meines Wissens Bundesbürger mit vollen Rechten wie die Protestierenden, und ich hoffe doch nicht, dass man ihm seine Kampffliegertätigkeit während des Zweiten Weltkrieges vorwerfen will." Wer sich gegen Rudels Besuch bei der deutschen Nationalmannschaft ausspreche, der beleidige "alle deutsche Soldaten". Punkt. Und keine Widerrede. Wie der Journalist Dietrich Schulze-Marmeling so treffend schrieb: "Zwei Jahre vor Ascochinga waren Bundeswehrgeneräle vom Dienst suspendiert worden, nachdem sie Rudel in eine Kaserne zu einem Traditionstreffen eingeladen hatten. Kein Parteipolitiker hätte die Rudel-Affäre überlebt. Für Neuberger blieb die Angelegenheit ohne Folgen. Für den DFB galten offenbar andere regeln als für den Rest der demokratischen Gesellschaft." Offenbar gelten diese geheimnisvollen Ausnahmeregeln bis heute. Gerhard Meyer-Vorfelder ist nicht das Weltgewissen. Er ist nicht haftbar zu machen für das dummdreiste Benehmen seiner Vorgänger. Er ist auch nicht verantwortlich für das Gerede zweier Schalker Fans. Aber es wäre an der Zeit, dass der DFB selbst sich an die Worte seines Chefhistorikers Meyer-Vorfelder erinnert und seine Geschichte kritisch aufarbeitet. So wie es unter Egidius Braun in Ansätzen bereits geschah. Bauwens und Neuberger gelten weiterhin als strahlende Helden des Deutschen Sports. Und Meyer-Vorfelder hat die Chance vertan. Er hätte sich bei der Eröffnung der Ausstellung "Tatort Stadion" hinstellen und endlich deutlich Abstand nehmen können von altvorderen Sprüchen. Stattdessen sprach er vom "Zusammenhang", aus dem all die Sätze gerissen worden sein. Fragt sich nur, in welchem Zusammenhang solche Sätze überhaupt je Sinn machen können. ALEX RÜHLE
Vielen Dank an Sebastian "Rollo" Burchardt, der uns aus Karlsruhe diesen interessanten Artikel zusandte!