Es sieht so aus, als wären die Hannoveraner doch lernfähig. Denn auch wenn die Vereinsoberen es nicht wahrhaben wollen (s.u.), so ist doch klar, was die Fans von 96 in alle Winde zerstreut: Sie haben genug von einem Verein, der nur durch Mafiagelder, Schiebung seitens des NFV - insbesondere des hochgeschätzten Herrn Nelle - und die, jetzt wohl langsam bröckelnde, Dumpfheit des Publikums in Hannover am Leben erhalten wurde. Es scheint also doch noch Hoffnung zu geben...
NP vom 6.10.1999
96 und die Fans - eigentlich eine der größten Liebesgeschichten der Region. Sogar in der dritten Liga konnte der Klub stets aufs treue Publikum bauen. Doch gegen Nürnberg kamen klar weniger als die erwarteten 20 000 Zuschauer. "Ungewöhnlich, überraschend und bedauerlich", fands Klubchef Martin Kind. Was ist bloß mit den Fans los?
Nachdenklich auch das Gesicht von Aufsichtsrat Martin Biskowitz nach der Partie: "Wir müssen klären, warum viele Zuschauer weggeblieben sind." Auch Carsten Linke war geschockt. "Gegen einen Bundesliga-Absteiger wie Nürnberg müssten 30 000 kommen."
Es kamen nur 12 898 - Minusrekord und "eine Katastrophe" für den 96-Kapitän. Sorgen bereitet die stetig rückläufige Entwicklung.
Im ersten Heimspiel gegen TB waren 16 278 Fans im Stadion; beim zweiten sahen 15500 Mannheim, im dritten 14 049 Fortuna Köln und nicht mal 13 000 den Club - 96 verliert mit jedem Heimspiel mehr Fans. "An der Leistung kann es nicht liegen", glaubt Linke, "wir spielen besser als in der letzten Saison."
96-Boss Kind vermutet mehrere Ursachen. "Der ungewöhnliche Montagspieltag, die Fernsehübertragung, das kommende Pokalspiel gegen Bielefeld, die Baustelle und das schlechte Wetter."
Die TV-Sendung taugt jedoch nicht als Begründung. Im September 1998 sahen 27 000 im Niedersachsen-Stadion die Partie gegen den 1. FC Köln, obwohl DSF live berichtete. Und damals wurde an einem Donnerstag gespielt, auch kein normaler Spieltag.
Allerdings scheint der Pokalknüller gegen Bielefeld am 12. Oktober die Fans stärker zu reizen als Nürnberg. Im Vorverkauf wurden mehr Tickets für den Pokal abgesetzt als für das Punktspiel.
"Kann sein, dass es für die Zuschauer eine Kostenabwägung ist", meint Kind. "Nürnberg gabs umsonst im Fernsehen."
Fehlen der Mannschaft in dieser Saison Stars wie Otto Addo oder Gerald Asamoah? "Das wird überschätzt", glaubt Kind, "wichtiger ist, dass die Mannschaft schwerer auszurechnen und gleichwertiger besetzt ist als früher."
Für die DFB-Lizenz wurde mit 13 000 Fans kalkuliert. Der Schnitt liegt nun bei 14 087. Noch alles im grünen Bereich bei den Roten - aber der Winter und die Stuttgarter Kickers kommen noch. Dann wird sich zeigen, ob die Liebe der Fans zu 96 wirklich erkaltet ist.
Bild vom 6.10.1999
Martin Kind konnte seine Enttäuschung kaum verbergen. Der 96-Boss fassungslos: "Erschreckend! Einfach erschreckend!"
Was Kind so viele Sorgen bereitet: Die mageren Zuschauerzahlen. Gegen Nürnberg waren nicht mal 13000 im Niedersachsen-Stadion - Minusrekord in dieser Saison (BILD berichtete). Nach vier Heimspielen liegen die "Roten" schon knapp unter dem kalkulierten Schnitt von 15000. Dabei war 96 letzte Saison mit 20000 Fans pro Spiel noch Zuschauer-Krösus der 2. Liga...
Eine gefährliche Entwicklung - weiß auch Martin Kind. Der 96-Boss: "Das ist natürlich nicht positiv. Aber ich muss zugeben: Es kommt für uns überraschend." Beim Nürnberg-Spiel rechnete 96 mit über 20000 Fans. Kind: "War anhand der Vorverkaufszahlen auch realistisch."
Jetzt die Suche nach Gründen. Sicher hat die Live-Übertragung im DSF (durchschnittlich sahen 1,6 Mio. im TV zu) Zuschauer gekostet. Auch der Umbau des Stadions könnte ein Grund sein. Kind: "Die Fans haben wohl auch Probleme, sich mit der neuen Mannschaft zu identifizieren." Da helfen Erfolge wie das 2:0.
NP vom 7.10.199996 laufen die Zuschauer weg. Fan-Forscher Gunter A. Pilz, Sportsoziologe an der Uni Hannover, äußert sich im NP-Interviev zu den Ursachen.
Neue Presse:
Warum zeigen viele Fans 96 die kalte Schulter?Gunter A. Pilz:
Weil die sportliche Entwicklung noch zu instabil ist. Hätte das Team vor dem Nürnberg-Spiel auf Platz drei gestanden, wären mehr gekommen. Wenn aus den nächsten beiden Partien vier Punkte geholt werden, ist die Butze voll.NP:
Sind Fans nun wählerischer?Pilz:
Es gibt immer weniger Fans, die sich mit 96 identifizieren. Das sind nur noch die 5000, die in der dritten Liga dabei waren.NP:
Wie ändert sich das Publikum?Pilz:
Das entspricht der Gesamtentwicklung weg vom traditionellen Fußballverein. Es geht vor allem um Kommerz. Auch 96 wird ja bald die Katze aus dem Sack lassen, an welchen Konzern man sich verkauft. Das ist Verrat an der Vergangenheit, die Verwurzelung in der Stadt wird aufgegeben.NP:
Und die Folge?Pilz:
Wir haben ein anderes, ein Wechsel-Publikum. Die Leute gehen nur noch ins Stadion, wenn die Leistung stimmt. Bedingungslos identifizieren sich immer weniger mit 96.NP:
Gibt es zu viel Multi-Kulti in der Mannschaft?Pilz:
Da ist doch kein Hannoveraner mehr dabei. Das verstärkt das Gefühl, dass es nur noch ums Abkassieren geht.NP:
Fehlen 96 die Stars?Pilz:
Mit Asamoah und Addo hat man Spieler verloren, die ein paar Tausend angezogen haben. Das Vertrauen in die Nachfolger fehlt noch. Omodiagbe könnte einer werden, der mit seinen Kabinettstückchen die Fans fasziniert. Es gibt noch eine ungestillte Sehnsucht nach einem Liebling.NP:
Was ist mit dem Spielplatz?Pilz:
In diesem saublöden Stadion kommt ja nur Stimmung auf, wenn es gerammelt voll ist. Es ist eben keine reine Fußballarena wie in Dortmund oder Lautern. Ärgerlich, daß das nach dem Umbau nicht anders wird.